Schätzungsbefugnis des Finanzamtes in einer Betriebsprüfung

20.02.2023 |  Der Steuerratgeber - Kolumne im Wirtschaftsteil der Aachener Zeitung/Aachener Nachrichten

Heute möchte ich insbesondere den Unternehmern unter Ihnen ein Urteil vorstellen, welches zeigt, dass es sich – gerade bei einem solchen Thema – immer mal wieder lohnt, genau hinzuschauen und das Finanzgericht anzurufen. Worum geht es?

 

Ein selbständiger Servicetechniker setzte zum Schreiben seiner Rechnungen eine von ihm erworbene Software ein, die ausweislich der Programmbeschreibung eine automatisch fortlaufende Nummerierung vornimmt. Im Rahmen einer Betriebsprüfung stellte die Prüferin fest, dass in seiner Finanzbuchhaltung zu zwei Rechnungsnummern weder Rechnungen vorlagen noch Erlöse gebucht waren und eine Versteuerung dieser Rechnungen somit anscheinend unterblieben war. Auch eine Protokollierung dieser Vorgänge fehlte. Darüber hinaus war eine Rechnungsnummer doppelt vergeben und händisch in eine andere Rechnungsnummer geändert worden. Die Prüferin befand, dass eine „Unverlierbarkeit“ der Rechnungen bzw. Daten der eingesetzten Software nicht gewährleistet sei und in Folge dessen ein erheblicher Mangel der Aufzeichnungen des Servicetechnikers vorläge. Vor diesem Hintergrund schätzte die Prüferin die Besteuerungsgrundlagen höher ein („Sicherheitszuschlag“) als die vom Servicetechniker erstellte Finanzbuchführung hergab. Die Folge waren Einkommensteuer- und Umsatzsteuer-Nachzahlungen.

 

Im späteren Klageverfahren argumentierte das Finanzamt: Das durch den Kläger verwandte Softwareprogramm erfülle jedoch gerade die Voraussetzungen der Unverlierbarkeit nicht, weil es laut der Bedienungsanleitung die Möglichkeit der vollständigen Löschung der erstellten Schriftstücke biete. Hinsichtlich zweier Rechnungen sei beispielsweise eine vollständige Löschung erfolgt. Auch die maschinell erfolgte doppelte Vergabe einer Rechnungsnummer, die später handschriftlich korrigiert worden sei, zeige, dass das verwandte Softwareprogramm nicht sicherstelle, dass jede einzelne Aufzeichnung unverlierbar und jederzeit eindeutig zuordenbar gespeichert werde. Statt der Sicherstellung einer „elektronischen Vertintung” lasse dieses Programm jederzeit Änderungen zu,

ohne diese zu protokollieren. Dadurch sei es weder einem Dritten noch dem Kläger selbst möglich, eventuell erfolgte Änderungen zu erkennen und zu prüfen.

 

Der Servicetechniker vertrat die Ansicht, das Finanzamt unterstelle ihm Manipulationen bei seiner Rechnungslegung ohne hierfür Nachweise anzuführen. Die Prüferin habe jedoch keinerlei materielle Fehler in der Rechnungslegung feststellen können. Eine Besteuerung wie im vorliegenden Streitfall auf bloßen Verdacht sei rechtswidrig.

 

Das nach abgelehntem Einspruch angerufene Finanzgericht versagte dem Finanzamt dann auch die (Hinzu-)Schätzungsbefugnis. Es lägen keine hinreichenden Mängel vor, die eine Schätzung rechtfertigten. Die Beweislast läge beim Finanzamt. Es argumentierte weiter: Materielle Unzulänglichkeiten der Buchführung lägen einvernehmlich nicht vor. Allein die Tatsache, dass die Software das Löschen oder das Ändern einer Rechnung ermöglicht, führt nicht zu einem hinreichenden formellen Mangel. Es wären keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger tatsächlich nicht dokumentierte Manipulationen beim Schreiben der Rechnungen vorgenommen hat.

 

Als Fazit kann man festhalten, dass nach Ansicht des Finanzgerichtes formelle Mängel in der Buchführung und den Aufzeichnungen eines Steuerpflichtigen nur dann zur Schätzungsbefugnis führen, wenn diese Mängel so gravierend sind, dass die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses und somit der ermittelte Gewinn bzw. Umsatz angezweifelt werden muss.

 

Dennoch sollte man auf dieses Urteil nicht zu sehr bauen, sondern nur eine Software verwenden, die den „Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff“ („GoBD“) entspricht, bei der eine undokumentierte Änderung oder Löschung - von in unserem Fall Rechnungen - nicht möglich ist und auch gleichsam auf eine formell und materiell richtige Finanzbuchführung großen Wert legen.

Download
Kolumne 20_02_2023.JPG
JPG Bild 190.5 KB