Die Richtsatzsammlung in der Betriebsprüfung

21.08.2023 |  Der Steuerratgeber - Kolumne im Wirtschaftsteil der Aachener Zeitung/Aachener Nachrichten

 

Grundsätzlich sind die Finanzbuchführung und die Aufzeichnungen, die der Steuerpflichtige gemacht hat, der Besteuerung zu Grunde zu legen, vorausgesetzt er hat sich an bestimmte gesetzliche Vorgaben gehalten.

 

Dem Finanzamt sind jedoch (Hinzu-)Schätzungen zum ermittelten Umsatz und Gewinn unter weiteren Voraussetzungen erlaubt, sofern wesentliche Mängel materieller Art oder schwerwiegende formelle Mängel vorliegen, also nach den Umständen des Einzelfalls Anlass besteht, die sachliche Richtigkeit anzuzweifeln; dies im Übrigen auch, sofern der Steuerpflichtige die elektronischen Daten seines Betriebes in der vorgeschriebenen Form nicht zur Verfügung stellen kann.

 

In solchen Fällen bedient sich die Finanzverwaltung regelmäßig sogenannter Richtsätze aus ihrer Richtsatzsammlung, um die aus ihrer Sicht der Besteuerung zugrunde zulegenden Umsätze und Gewinne zu ermitteln. Nicht selten ergeben sich hierdurch in Betriebsprüfungen weitaus höhere Beträge und in Folge dessen erhebliche Steuernachzahlungen.

 

Richtsatzsammlung

 

Die Richtsätze werden von der Finanzverwaltung für viele Gewerbeklassen wie „Ambulante soziale Dienste, „Anstreicher“ bis „Zigaretten“ und „Zimmerei“ auf der Grundlage von Betriebsprüfungsergebnissen zahlreicher geprüfter Unternehmen ermittelt und in der Richtsatzsammlung zusammengefasst und fortwährend aktualisiert.

 

Die Richtsätze sind Prozentsätze des wirtschaftlichen Umsatzes. So werden, je nach Betriebsart, im Verhältnis zum Umsatz der Rohgewinn, der Halbreingewinn und der Reingewinn ermittelt, bei Handelsbetrieben daneben auch der Rohgewinnaufschlagsatz, bei Handwerks- und gemischten Betrieben auch ein durchschnittlicher Rohgewinn I, der als Richtmaß für den Waren- und Materialeinsatz dienen soll.

 

Die Richtsätze bestehen aus einem oberen und unteren Rahmensatz sowie dem Mittelsatz als gewogenes Mittel aus den Einzelergebnissen.

 

Bis heute gibt es vor allem in Betriebsprüfungen immer wieder Diskussionen mit der Finanzverwaltung, ob und in wieweit die Richtsätze für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen des geprüften Unternehmens herangezogen werden können.

 

Anwendbarkeit?

 

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat das Bundesfinanzministerium (BMF) nunmehr mit Beschluss vom 14.12.2022 aufgefordert, einem Revisionsverfahren beizutreten, um die Frage zu klären, ob und – wenn ja - unter welchen Voraussetzungen die Richtsätze aus der Richtsatzsammlung Gegenstand einer Schätzung von Besteuerungsgrundlagen sein dürfen. Der BFH hat die Anwendung der Richtsatzsammlung bereits lange verfolgt und immer wieder an die gebotene Vorsicht bei der Anwendung appelliert, beabsichtigt aber nun, sich im Rahmen dieses Verfahrens grundlegend mit ihr auseinanderzusetzen. In seinen bisherigen Entscheidungen hatte er sich nicht näher damit beschäftigt, auf welchen Grundlagen und Parametern die Richtsätze des BMF beruhen, wie sie zustande kommen und welche Auswirkungen sich hieraus auf die Tauglichkeit eines äußeren Betriebsvergleichs anhand der Richtsatzsammlung ergeben.

 

Zur Entscheidungsfindung stellt der BFH dem BMF nunmehr beispielsweise die Fragen, welche Einzeldaten mit welchem Gewicht in die Ermittlung der Richtsätze der jeweiligen Gewerbeklasse einfließen, wie die Repräsentativität der Daten sichergestellt wird, ob es Einzeldaten gibt, die von vornherein ausgeschlossen werden, ob die regional zum Teil erheblich unterschiedliche Höhe fixer Betriebskosten (insbesondere Raum- und Personalkosten) der Festlegung bundeseinheitlicher Richtsätze entgegensteht oder ob erfolgreiche Rechtsbehelfe des Steuerpflichtigen gegen die auf eine Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide die Richtsatzsammlung beeinflussen.

 

Auch die Frage, wie dem Steuerpflichtigen ermöglicht werden kann, das Ergebnis einer Schätzung auf der Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung nachzuvollziehen und zu überprüfen ist Gegenstand der Nachfrage.

 

 

Wendet das Finanzamt in Ihrer Prüfung ebenfalls die Richtsatzsammlung an, können Sie sich jetzt auf das anhängende verfahren mit dem Aktenzeichen X R 19/21 berufen, das Ruhen des Verfahrens beantragen und sich somit die Möglichkeit sichern, an einem gegebenenfalls positiven Ausgang des Verfahrens teilzuhaben.

Download
Kolumne 21_08_2023.JPG
JPG Bild 192.6 KB